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Über die Pflichten der Muslime in Deutschland , Redaktion , 11.10.2017

In stürmischen Zeiten, in denen Dinge geschehen, deren Ausmaß man nicht einschätzen kann, neigen viele Menschen dazu sich Horrorszenarien auszumalen und quasi das Ende der Menschheit zu prophezeien.






Umso wichtiger ist es, dass sich die Stimmen der Vernunft melden um diese Ungewissheit bei den Menschen zu lindern und ihnen Mut zu machen nach vorne zu schauen und hoffnungsvoll auf die Zukunft zuzugehen.


Der Eintritt der AfD in den Reichstag, mit mehr als 90 Abgeordneten, der hohe Verlust von Union und SPD und die sich anbahnenden Koalitionsgespräche zwischen Union, FDP und Grünen, deren Ergebnisse nicht abzusehen sind, sind zweifelsohne Besorgniserregend und machen einen nachdenklich. Es darf uns aber nicht dazu bringen falsche Schlüsse zu ziehen, Ängste zu verbreiten oder sich in irgendeiner Weise einzukapseln.


Wir, als Muslime, sind nun gefragt eine klare Reaktion zu zeigen. Die Gesellschaft soll das Gefühl bekommen, dass wir es ernst meinen, wenn wir sagen: "Wir sind ein Teil der Gesellschaft."


Viele Muslime sind noch immer abgeneigt sich am gesellschaftlichen Leben in all seinen unterschiedlichen Facetten zu beteiligen. Oftmals liegt es am falschen Verständnis der Religion und an der Importierung der Rechtssprüche von ehrenhaften Gelehrten, die jedoch die Realität in Deutschland und Europa nicht kennen. Diese Rechtssprüche führen dazu, dass viele Menschen verunsichert sind und lieber den "sicheren" Weg wählen. Denn die eine Meinung besagt, dass es wünschenswert ist am demokratischen Leben teilzunehmen, während die andere Seite es strikt als verboten betrachtet.


Seit vielen Jahren gibt es Stimmen, die die Muslime anspornen einen positiven Beitrag zu leisten - innerhalb der Gesellschaft in der sie leben. Dazu gehört die Beteiligung an Wahlen. Diese Stimmen waren in der Vergangenheit nicht laut genug und nicht direkt. Dies machte es der anderen Seiten -die dieser Meinung widersprechen- leicht, ihre Ansichten unter den Muslimen zu verbreiten.


In den letzten Tagen der Wahlen haben wir in Deutschland einen offenen Diskurs in den sozialen Medien erlebt, den wir sonst nicht kannten. Selten zuvor wurde der Rechtsspruch, dass die Wahlbeteiligung Pflicht ist, so offensiv vorgetragen, wie es Dr. Khaled Hanafy, Vorsitzender des Fatwa- Ausschuss- Deutschland, tat. Obwohl dieser Vorstoß spät kam, hat er für viel Diskussion gesorgt, denn diesmal ging es nicht darum, den Muslimen die Wahlbeteiligung zu empfehlen, sondern ihnen zu vermitteln, dass derjenige, der sich nicht beteiligt eine gewisse Verantwortung trägt vor Allāh, sprich eine Sünde begeht. Dr. Khaled Hanafy ist zwar nicht der erste, der diese Ansicht vertritt. Er ist aber einer der Wenigen, die diese Fatwa in dieser konsequenten Art vortragen.


Man kann über diesen Rechtsspruch lange diskutieren, ob es zulässig ist die Freiheit der Wahlbeteiligung zu einer religiösen Pflicht zu machen. Richtig und wichtig ist aber, dass die Muslime von nun an den Diskurs offen führen und dass sich unter den Muslimen die Überzeugung verbreitet, dass Passivität sowohl der Gesamtgesellschaft wie auch der muslimischen Community nicht zugutekommt.


Muslime sollten davon überzeugt werden, dass die Beteiligung am gesellschaftlichen Leben eine Art der Religiösität ist, die uns der Islam vorschreibt.

- Wir lesen im Koran in der 12. Sure die Geschichte vom Propheten Yusuf, nach dem die Sure auch benannt ist. Dort sehen wir, wie er noch im Gefängnis seinen Peinigern eine Lösung gab für die Dürrezeit, die sie erwarteten. Und wie er später selber zum "Finanzminister" wurde und das Land vor einer Hungersnot schützte.
- Wir kennen die Aussage des Propheten, dass er einem Pakt beitreten würde, in dem es um den Schutz der Schwachen geht.
- In den Sira- Werken lesen wir, dass sich die Muslime aktiv an der Verteidigung der "Rechtsstaatlichkeit" in Abessinien einsetzen wollten, als eine Revolte den König "Negus" stürzen wollte.
- Wir erfahren, wie Umar ibn Alkhattab weinen musste als er einen alten bedürftigen Juden traf, der bettelte um den Muslimen die "Jizyah" zu zahlen. Oder wie er einem ägyptischen Kopten sein Recht gab, als ihn der Sohn des muslimischen Statthalters von Ägypten schlug.


Die islamische Geschichte kennt eine Vielzahl solcher Beispiele. Diese zeigen, dass der Muslim verpflichtet ist für Gerechtigkeit zu sorgen. Es ist die Pflicht des Muslims, dass er sich positiv einbringt in der Gesellschaft in der er sich befindet – unabhängig davon ob es eine muslimische oder nichtmuslimische Mehrheitsgesellschaft ist und unabhängig davon ob das Land von einem Muslim oder einem Nichtmuslim geführt wird.


Es gibt stets Bürgerinitiativen zu sozialen und gesellschaftlichen Angelegenheiten. Bei vielen dieser Initiativen fehlen die Muslime.


In der Flüchtlingskrise haben viele Muslime anfangs tatkräftig mitgeholfen, jedoch ist man schnell wieder in den Alltag zurückgekehrt und hat die Lücke andere schließen lassen. Auch hat man es versäumt die Flüchtlingsarbeit zu institutionalisieren, was dazu führte, dass die Anstrengungen in den meisten Fällen individuell blieben.


Das Engagement in politischen Parteien wird von vielen Muslimen ebenfalls kritisch beäugt. Das führt dazu, dass die Muslime in den verschiedenen politischen Gremien unterrepräsentiert sind.


Selbst das Studium von gesellschaftswissenschaftlichen Fächern kommt bei den Muslimen zu kurz, da man sich davon nicht unbedingt die rosigste Zukunft versprechen kann, wenn man Materiell denkt.


Das Umdenken ist nun gefragt: Wie können wir uns in den verschiedenen Bürgerinitiativen einsetzen? Welche Rolle spielen wir in der Integration der Flüchtlinge? Wie machen wir es deutschen Muslimen schmackhaft in Parteien einzutreten oder an Bürgerinitiativen teilzunehmen um der Gesellschaft zu dienen und die Zukunft mitzugestalten? Es gibt unzählige solcher Fragen. Diese müssen wir uns stellen und in aller Ruhe beantworten.


Es sind stürmische Zeiten, die wir gerade erleben. Lasst uns unseren Beitrag leisten, das negative Ausmaß einzudämmen und die richtigen Lehren zu ziehen.